Vor Angst wie gelähmt – die erste Zeit zuhause

Als wir an Annis zwölftem Lebenstag von der Intensivstation entlassen wurden, waren wir -im Nachhinein betrachtet- keinesfalls dazu bereit.

Alles, was vorher selbstverständlich erschienen war, war so vollkommen anders, ich hatte vor absolut ALLEM Angst. Sicher ist es normal, dass man unsicher ist, wenn man mit seinem ersten Baby nach Hause kommt und plötzlich auf sich gestellt ist. Aber wie ich mich gefühlt habe, kommt einem Unsichersein nicht im Entferntesten nahe.

Ich war völlig von der Rolle. Nachts habe ich wochenlang kein Auge zugetan und alle zwei Minuten in das Beistellbettchen gelugt, ob alles in Ordnung wäre, jede Sekunde darauf gefasst, dass ein Krampfanfall kommen würde.

Ich war anfangs sogar nicht nur darauf gefasst, sondern habe mehr oder weniger damit gerechnet und war überzeugt, es würde bald einer kommen.

Mein Freund war da etwas entspannter, für ihn war klar, dass wir nicht entlassen worden wären, wäre nicht alles in Ordnung. Wenn ich jetzt auf diese Zeit zurückblicke, merke ich, wie unglaublich angespannt ich tatsächlich war.

Und worüber ich von mir selbst -wenn ich zurückblicke- total schockiert bin, ist, dass ich einfach nicht richtig nachgefragt oder mehr nach Informationen gesucht habe. Ich kann gar nicht sagen warum, aber ich habe mich irgendwie ein bisschen mit der Diagnose „Neugeborenenkrämpfe“ abspeisen lassen.

Nicht, dass man uns keine Informationen geben wollte… Ich habe einfach nicht genug nachgehakt, was das überhaupt genau bedeutet. Ich glaube, ich wollte einfach nur aus diesem Albtraum raus. Weg vom Krankenhaus und der Angst um Annis Leben. Nur, zuhause war es noch viel schlimmer. VIEL schlimmer.

Wir hatten Gott sei Dank das Glück, dass wir eine tolle Hebamme und vor allem eine super Kinderärztin hatten, beziehungsweise haben. Ohne diese beiden wäre ich wahrscheinlich endgültig durchgedreht.

Die Kinderärztin hat uns zwischen U3 und U4 alle zwei Wochen einbestellt, um die Kleine immer gut im Blick zu haben. Ich bin aber ziemlich sicher, dass diese Termine rein unserer Beruhigung dienen sollten. Dadurch, dass wir so oft in der Praxis waren, hatten wir einfach das Gefühl, Anni sei immer unter Beobachtung und ganz allmählich begann auch ich mich zu entspannen.

Bei einem der Besuche in der Praxis sagte unsere Kinderärztin einen sehr wichtigen Satz zu mir, eigentlich den Wichtigsten überhaupt und der war einfach: „Ihr müsst bedenken, an so einem Krampfanfall stirbt niemand“.

Ich war bis dahin so in meiner Panik gefangen, dass ich mich über Wochen nicht getraut hatte, einfach mal einen Arzt zu fragen, was eigentlich wirklich passieren könnte, wenn Anni wieder einen Krampf haben sollte. Insgeheim wahrscheinlich aus Angst vor der Antwort.

Ich war wochenlang davon überzeugt, dass mein Baby bei einem weiteren Anfall möglicherweise sterben könnte. Das hört sich ein bisschen so an, als müsste man mir sagen: „Mach mal Halblang!“. Aber daran merke ich erst, wie traumatisiert ich durch diesen Moment im Krankenhaus war, als die Kleine scheinbar leblos vor uns lag.

Ich habe mich wahnsinnig in das alles hineingesteigert, anstatt mich einfach einmal genauer zu informieren. Das Wort „Epilepsie“ fiel anfangs auch überhaupt nicht, da man einfach davon ausging, diese Krampfanfälle ließen sich mit der Luminalette (Wirkstoff Phenobarbital) unterdrücken und wenn man das Ganze drei, vier Monate ausgesessen hätte, wäre der Spuk vorbei.

Nachdem ich dann allmählich wieder auf die Reihe kam, weil einfach alles immer besser lief, Anni stetig zunahm, fröhlich war und immer munterer wurde, begann ich zu glauben, dass dieser Schrecken einfach hinter uns lag.

Die Therapie der Neugeborenenkrämpfe sollte so ablaufen, dass Anni aus dem Phenobarbital einfach „herauswachsen“ sollte. Sprich, man ließ die Dosis so, wie sie in ihren ersten Lebenstagen eingestellt wurde und wollte es ausschleichen lassen.

Leider ist es ja nun so, dass die Epilepsie ziemlich tückisch sein kann und oft in den unvorhergesehensten Momenten wieder zuschlägt. Die Normalität war mittlerweile eingetreten, alles lief so gut, dass uns die Möglichkeit, ein weiterer Krampfanfall könnte sich zeigen, ziemlich unwahrscheinlich vorkam.

Nur so eine winzige Ecke in meinen Gedanken gab es da, aus der stetig der Satz drang: „Wir haben die Dosis nicht angepasst und Anni hat über drei Kilo zugenommen…“

Als es dann tatsächlich an einem Tag soweit war, war ich zwar überrascht, aber es hat mich nicht sonderlich aus der Bahn geworfen. Anfangs wurde uns gesagt, die Neugeborenenkrämpfe könnten bis zu einem halben Jahr andauern und eventuell müsse man die Dosis nochmal erhöhen.

Wie sehr uns unsere Kinderärztin in den letzten Monaten geholfen hat, kann ich gar nicht in Worte fassen und ich möchte an dieser Stelle nur jedem nochmal ans Herz legen; ein guter Kinderarzt ist immer wichtig, aber sobald euer Kind krank ist, reicht „gut“ unter Umständen einfach nicht mehr aus. Dann muss jemand her der bereit ist, mehr zu tun.

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